Abschlussbericht: Zusammenfassend und Rückblickend

Veröffentlicht am 5. September 2025 um 17:36

Wir wurden von unserer Orga gebeten, einen Abschlussbericht zu schreiben. Lange Zeit viel es mir unglaublich schwer, das anzugehen. Ich hatte das Gefühl, noch nicht Abschließen zu können. Ich hatte das Gefühl, solange ich den Abschlussbericht noch nicht schreibe und meine Koffer noch nicht auspacke, solange muss ich noch nicht gehen. Nun habe ich es doch zu Papier gebracht, und dachte, das wäre auch etwas für de Blog. Ich bedanke mich ganz herzlich bei euch allen, dass ihr so treue Leser wart und mein Jahr in Ecuador begleitet habt.

 

Vor einer Woche stieg ich mit einem zusätzlichen Gepäck voller Pipas und zwei weinenden Augen in den Flieger, der mich nach Deutschland brachte- früher als ich realisieren konnte. Nun, eine Woche später, lebe ich immer noch mit einem Bein in den Bergen in Chugchilán, träume auf Spanisch, schütte auf alles scharfe Soße und werfe mein Toilettenpapier in den Mülleimer. Mir fällt es un­fassbar schwer, mein neues Zuhause, meine neuen Freunde und auch meine neuen Gewohnheiten loszulassen und mich wieder in der deutschen Welt einzufinden. Viele Gedanken über das Jahr gehen mir durch den Kopf, über meine Entwicklung, über den Pro­zess des Einlebens, über mein Projekt und über Ecuador und Deutschland. Denn in diesem Jahr, das sich rückblickend viel zu kurz anfühlt, ist doch so viel passiert. Ich habe so viel gelernt, hatte so viele bereichernde Gespräche und Erlebnisse, bin über mich hinausgewachsen, offener und selbstsicherer geworden. Ich habe mich eingelebt, alles wurde normal, ich wurde Teil meines Projektes, Teil mei­nes Dorfes und meiner Gastfamilie und habe mich in das Land verliebt.

Durch den Freiwilligendienst, wurde mir bewusst, wie sehr ich doch Kinder liebe, und wieviel sie einem schenken, einfach durch ihr Dasein. Dadurch habe ich meine Arbeit in der Schule geliebt. Zusammen haben wir natürlich die ein oder andere Englischvokabel gelernt, aber vor allem viel gelacht, gefragt und gespielt. Wenn der Ball durch die Luft flog oder wir im Englischunterricht ein Memory gebastelt haben, dann war ich plötz­lich wieder selber Kind und hoffte mit aller Kraft, dass der Ball doch bitte nicht den Boden berührt. So füllte sich mein Jahr automatisch mit Leichtigkeit und Lachen und das Leben war einfach herrlich. Andererseits übernahm ich deutlich mehr Verantwortung als zuvor, immer wieder tauchten Herausforderungen auf, die es zu meistern galt und zeitweise war das Jahr auch wirklich emotional belastend. Gleichzeitig wurde mir durch die Fragen der Kinder soviel bewusst, auch welche Rolle ich für dieses Jahr als Freiwillige und generell als Deutsche in der Welt einnehme. „Tonja, sind deine Haare gefärbt?“, „Tonja, gibt es in Deutschland auch Kühe?“, „Tonja, du bist bestimmt ganz alt, du bist doch sehr groß“, „Tonja, hast du auch so Hunger?“, „Tonja, wie alt ist deine Mutter?“

Andere Fragen kamen von den Erwachsenen: „Was kann man in Deutschland arbeiten?“, „Wieviel verdient man in Deutschland?“, „Gibt es in Deutschland auch Kartoffeln und Mais und Reis?“, „Vermis­sen dich deine Eltern nicht?“ Mir wurden all die Privilegien, die ich für normal hielt, immer wieder vor Augen geführt. Bei meiner Rückkehr habe ich aber auch be­merkt, dass Deutschland keineswegs das Ultimum ist, und dass viele Dinge in Ecuador auf ihre Art und Weise Vorteile haben. Ständig schwirrt mir eine Art Vergleich in meinem Kopf, sodass ich jetzt viele Dinge auch einfach bewusst und oft erst einmal neutral wahrnehme. Wenn ich den Kühlschrank öffne und mich nicht entscheiden kann. Wenn ich in den Supermarkt gehe und vor Überfluss den Überblick ver­liere. Wenn ich beim Arzt bin und einfach alle Medikamente bekomme, die ich brauche und das obendrauf auch noch die Krankenversicherung übernimmt. Wenn ich mir die Hände wasche und exakt einstellen kann wie warm oder kalt ich das Wasser jetzt wünsche oder wie stark das Wasser aus dem Hahn kommen soll und mir das Wasser dann glasklar entgegenspritzt. Wenn ich mit dem Bus fahre oder wenn ich bei der Bank anrufe zum Beispiel. Der Frei­willigendienst hat meinen Blick auf die Welt verändert und geöffnet. Auch wenn ich dachte, ich sei zuvor tolerant und offen anderen Menschen gegenübergetreten, dann werde ich mir unterschwelligen Vorurteilen und Wer­tungen bewusst. Dieses Jahr war eine sehr prägende Zeit für mich und ich würde sagen, trotz einigen schwierigen Tagen eine durchweg positive Erfahrung, für die ich sehr dankbar bin. Ich komme verändert, inspiriert, nach­denk­lich und stark zurück, mit unzähligen Erinnerungen und einem neuen Zuhause am Äquator. Gleichzeitig würde ich für mich sagen, ist dies hier kein Abschlussbericht. Vielleicht fällt mir das Ankommen nun auch so schwer, weil ich nicht abgeschlossen habe mit dem Jahr. Vielmehr war das Jahr ein Anfang. Ein Start, mit dessen Rückenwind ich in der Zukunft schaue, gehe und handle. Würde ich anderen ein weltwärts-Jahr empfehlen? Meiner Mei­nung nach ist der Freiwilligendienst nicht für jeden etwas. Ich denke, es ist ganz wichtig, dass man sich bewusst ist, worauf man sich einlässt. Dass man wirklich motiviert ist von Anfang an und Lust hat, tief einzutauchen. Dass man sich auf sein Projekt freut und das vielleicht sogar im Vordergrund steht, das dem Reisen priorisiert. Zwölf Monate in einem komplett neuen Umfeld zu leben, um­geben von neuen Menschen, einer neuen Sprache und so weiter, das ist anders als Rei­sen. Irgendwann ist die Anfangs-Kennenlern­phase vorbei, und es wird alles normal und Alltag. Es ist nicht ein langer Höhenflug, man surft die ganze Zeit auf unterschiedlich großen Wellen. Aber genau das macht diesen Freiwilligendienst aus und genau das macht ihn am Ende zu dem was er ist: zu etwas ganz Bedeut­samem und Einzigartigem. Etwas, was mit Vorbereitung und allem danach viel mehr ist als nur zwölf Monate. Wenn man darauf Lust hat, dann würde ich ganz beherzt mit einem lauten „Ja!!!“ antworten. „Ja, macht das weltwärts-Jahr!!!“

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